Eine Empfehlung für Feldforschung! Notizen aus der Forschung und Beobachtung zur Karate-Geschichte
Bericht & Text: Nomura Akihiko, Zusammenstellung: Schultze-Nadoyama Sanae
Vertiefe dein Verständnis von Karate durch das Studium der Geschichte
Verbindung zwischen Okinawa, dem japanischen Festland und der Welt
Koyama Masashi – Karate-Forschungsinstitut
Yannick Schultze – Forscher zur Geschichte der japanischen Kampfkünste
Koyama Masashi hat als Mitglied der japanischen Nationalmannschaft zahlreiche Erfolge im Kumite und Kata bei Karate-Turnieren in Japan und im Ausland erzielt. Als Pionier in der Erforschung von Gōjū-ryū und Naha-te hat er auch den Weg für die nächste Generation geebnet.
Diesmal wurde auf Wunsch des deutschen Forschers der japanischen Budō-Geschichte, Yannick Schultze, ein besonderes Gespräch mit Herrn Koyama zum Thema „Historische Erforschung des Karate-dō“ während Schultzes Forschungsreise nach Japan in diesem Jahr geführt!
Website von Koyama Masashi:https://koyamakaratedokenkyuukai2023.jimdofree.com/
Website von Yannick Schultze:www.karate-kenkyu.com
Interview-Vorwort
Zu Besuch bei einem Pionier der Karate-Geschichtsforschung!
Yannick Schultze, der in der unregelmäßigen Serie dieses Magazins „Auf den Spuren der Geschichte des okinawanischen Karate!“ bereits wertvolle Forschungsergebnisse vorgestellt hat, ist ein in Deutschland geborener Historiker. In seiner Jugend wurde er tief von Actionfilmen mit Bruce Lee und Jet Li inspiriert, was seine Bewunderung für ostasiatische Kampfkünste weckte. Als sich das von Matayoshi Shinpō gegründete okinawanische Kobudō in Europa zu verbreiten begann, bot sich ihm die Gelegenheit, traditionelle okinawanische Kampfkünste zu erlernen.
Angetrieben von dem starken Wunsch, traditionelle Kampfkunst an ihrer Quelle zu studieren, reiste er 2008 nach Okinawa. Dort vertiefte er seine Forschung zum traditionellen Karate und zum okinawanischen Kobudō. Heute trainiert er weiterhin Tō’on-ryū Karate-dō und Matayoshi Kobudō, während er seine historischen Studien fortsetzt.
Seine Frau, Sanae Schultze-Nadoyama, wiederum erfuhr von ihrem Großvater, dass der Naha-te-Karateka Higaonna Kanryō zu ihren Vorfahren gehörte. Diese Offenbarung veranlasste sie dazu, das Familienregister und andere genealogische Dokumente einzuholen. Bei ihrer feldforschungsbasierten Untersuchung zur Karate-Geschichte stieß sie jedoch auf große Schwierigkeiten, da viele Unterlagen durch die Kriegswirren verloren gegangen waren.
Das Ehepaar setzt seine Nachforschungen zu Higaonna Kanryō auf Basis der noch existierenden Quellen fort. Bei der Spurensuche über Higaonnas bedeutende Schüler – wie Miyagi Chōjun und Kyoda Jūhatsu – stießen sie auf eine Artikelserie von Koyama Masashi mit dem Titel „Waga Miyagi Chōjun“ („Mein Miyagi Chōjun“), die 1980 in der Zeitschrift Gekkan Karate-dō veröffentlicht wurde.
Da Yannick vor allem der europäischen Karate-Gemeinschaft angehört, hatte er nur wenige direkte Kontakte zu japanischen Karateka. Doch durch das Nachgehen verschiedener Hinweise und mit Unterstützung zahlreicher Menschen gelang es ihm schließlich, Kontakt zu Koyama aufzunehmen.
Im Jahr 2022 konnten das Ehepaar während einer Forschungsreise nach Japan einen lang gehegten Wunsch verwirklichen: Sie trafen Koyama in Ōsaka und tauschten sich über ihre Forschungsergebnisse aus – ein bedeutender Meilenstein in ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Es war auch Koyama, der Yannick die Möglichkeit eröffnete, seine Studien in diesem Magazin vorzustellen.
Auf Yannicks Bitte hin hat Koyama uns nun die Geschichte seines Karate-Weges und seine Forschungserkenntnisse anvertraut.
Die Wurzeln der Karate-Geschichtsforschung in Kagawa
Yannick
Koyama Sensei, es ist mir eine große Ehre, mit einem so herausragenden Lehrer sprechen zu dürfen. Dürfte ich Sie bitten, sich kurz vorzustellen und uns zu erzählen, wie Sie erstmals mit Karate in Berührung kamen – und was Sie dazu gebracht hat, sich mit der Geschichte des Karate-dō zu beschäftigen?
Koyama
Ich bin in Ōsaka aufgewachsen, bis zur dritten Klasse der Grundschule. Danach verbrachte ich neun Jahre – bis zum Abschluss der Oberschule – in der Stadt Toyohama in der Präfektur Kagawa (heute Kanonji City), der Heimat meiner Eltern. Danach kehrte ich in die Kansai-Region zurück. Obwohl ich nur neun Jahre in Kagawa lebte, war es rückblickend gut, dass ich meine prägenden Jahre – also jene Zeit, in der man beginnt, wirklich zu empfinden und über Dinge nachzudenken – nicht in der Stadt, sondern auf dem Land verbracht habe.
Mein Vater betrieb Jūdō. Er wurde im zwölften Jahr der Taishō-Ära geboren (1923) und arbeitete nach dem Krieg als Lehrer. Gleichzeitig war er aber auch ziemlich wild und ungestüm (lacht). Wenn er betrunken war, geriet er in Schlägereien. Doch so oft er jemanden mit Jūdō warf, die Leute standen einfach wieder auf. Da dachte er: „Vielleicht muss ich auch noch Karate lernen“, und so begann er damit. Ich habe gehört, dass er nach dem Umzug nach Ōsaka mit Karate anfing – in einem Stil, der mit dem Uechi-ryū verbunden war. Um 1968 herum baute er auf unserem Familiengrundstück ein Dōjō und begann dort, sowohl Jūdō als auch Karate zu unterrichten.
Ich selbst spielte von der Grundschule bis zum letzten Schuljahr Baseball. Aber nachdem wir im letzten Sommerturnier meiner Schulzeit verloren hatten, dachte ich: „Dann probier ich jetzt eben Karate“, und so trainierte ich etwa ein halbes Jahr bis zum Schulabschluss.
Damals auf Shikoku war „Budō“ für viele gleichbedeutend mit Shōrinji Kenpō – dessen Hauptsitz befand sich ja in Tadotsu. Karate-AGs oder -Clubs an Schulen gab es keine – nicht einmal an einer einzigen Oberschule. So war die Zeit damals.
Eines Tages kam dann Kasao Kyōji in das Dōjō meines Vaters – ein Absolvent des Karate-Clubs der Waseda-Universität und Forscher für chinesische Kampfkünste. Er demonstrierte uns verschiedene Kata und brachte mir sogar die gesamte Heian-Reihe bei, von Shodan bis Godan. Kasao war ein faszinierender Mensch – er erzählte wie aus einem Reisetagebuch von seinen Erlebnissen rund um die Welt und seiner Zeit auf Okinawa. Diese Erfahrungen legten den Grundstein für meine spätere Karate-Forschung. Und es war auch Kasao, der zu mir sagte: „Du solltest nach Okinawa gehen, solange du noch kannst.“
Dann gab es da noch einen älteren Studenten der Ritsumeikan-Universität, Kimura Zōnosuke aus Takamatsu, der als Journalist für die Yomiuri Shinbun arbeitete. Er schrieb über die Geschichte des Karate in der offiziellen Zeitschrift des Gōjūkai, und auch seine Arbeiten haben mich stark beeinflusst.
All diese Erfahrungen hängen mit dem zusammen, was ich heute mache – doch damals hätte ich nie gedacht, dass sie mich einmal auf diesen Weg führen würden.
Der Karate-Club der Ritsumeikan-Universität und die Verbreitung des Gōjū-ryū
Yannick
Es gibt einige sehr faszinierende Aspekte in der Geschichte Ihres Vaters. In der Nachkriegszeit verfolgten viele Menschen in Deutschland einen ähnlichen Weg. Jürgen Seydel, der als Karate-Pionier in Deutschland gilt, kam ursprünglich vom Jūdō und lernte Karate erst später in Frankreich kennen. Auch viele andere Karate-Lehrer und Pioniere, die in Deutschland aktiv wurden, hatten zunächst einen Hintergrund im Jūdō oder Jiu-Jitsu.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auch nach Ihrer eigenen Alma Mater, dem Karate-Club der Ritsumeikan-Universität, fragen. Es heißt, die Ritsumeikan-Universität sei die erste Hochschule auf dem japanischen Festland gewesen, an der Miyagi Chōjun Sensei persönlich unterrichtete. Welche Bedeutung hatte diese frühe Verbindung zu Miyagi Sensei in Bezug auf die Verbreitung des Gōjū-ryū auf dem Festland?
Koyama
Am Karate-Club der Ritsumeikan-Universität gab es einen Mann namens Yogi Jitsuei, einen Schüler von Miyagi Chōjun Sensei. Yogi Senpai wurde 1912 (Taishō 1) geboren, und als Miyagi Sensei um 1931 (Shōwa 6) begann, den Namen „Gōjū-ryū“ zu verwenden, war Yogi bereits sein Schüler. Er trat 1934 (Shōwa 9) in die Ritsumeikan-Universität ein.
Zu jener Zeit war Miyagi Sensei gerade auf Hawaiʻi, aber nach seiner Rückkehr nach Japan führten er und Yogi Senpai gemeinsam eine Vorführung im Butokuden in Kyōto durch. Laut Yogi demonstrierten sie dabei Sanchin und Seisan, wobei Miyagi besonders Seisan sehr schätzte.

Ein seltenes Foto mit allen bedeutenden Persönlichkeiten des Karate auf dem Festland zur damaligen Zeit. Von links (ohne Höflichkeitsform): Nakayama Masatoshi (Chefausbilder der Japan Karate Association), Yamaguchi Gōgen (Präsident der All Japan Karate-dō Gōjū-kai), Ujita Shōzō (Präsident der All Japan Karate-dō Federation Gōjū-kai, gemeinnützige Stiftung), Okamura Mitsuyasu, Yogi Jitsuei, und – nur halb im Bild – Kisaki Tomoharu (ehem. Vorsitzender der All Japan University Karate-dō Federation).
Ein weiterer Senior war Yamaguchi Gōgen, der Miyagi Senseis allererste Lehrveranstaltung auf dem Festland miterlebt hatte – das war 1928 (Shōwa 3) an der Universität Kyōto. Doch es war vor allem Yogi Senpai, der die Verbindung zwischen Miyagi Sensei und der Ritsumeikan-Universität herstellte. Es existiert ein Nachweis darüber, dass bereits 1935 (Shōwa 10) ein Karate-Club an der Ritsumeikan bestand – dies gilt als das Gründungsjahr des Karate-Clubs der Ritsumeikan-Universität.
Ritsumeikan war also die erste Universität, an der Miyagi Sensei unterrichtete. Und nach dem Krieg war es dann der Karate-Club dieser Universität, der Gōjū-ryū auf dem japanischen Festland verbreitete. Außerdem war Yamaguchi Gōgen Senpai an der Gründung der Japan Karate Federation (JKF) beteiligt. Ich denke, ihm ist es mit zu verdanken, dass Gōjū-ryū neben Shōtōkan-ryū (松濤館流), Wadō-ryū (和道流) und Shitō-ryū (糸東流) als eine der vier Hauptstile von der JKF anerkannt wurde. Auf Okinawa gelten Uechi-ryū (上地流), Shōrin-ryū (小林流/少林流, auch Matsubayashi-ryū 松林流) und Gōjū-ryū als die drei Hauptstile – Gōjū-ryū ist also der einzige Stil, der sowohl auf dem Festland als auch auf Okinawa zu den bedeutenden Richtungen gehört.

Sō Neichū, ein Junior von Yamaguchi Gōgen

Eine Namensliste aus der Gründungszeit der Gōjū-kai (fotografiert von mir aus dem Besitz von Yamaguchi Gōshi), auf der auch der Name von Ōyama Masutatsu erscheint.
Die Ritsumeikan-Universität und ihr Karate-Club hatten zudem enge Verbindungen zu Ishiwara Kanji. Fukushima Seizaburō, ein Schüler Ishiwara Kanjis, gründete die Gruppe Gihōkai. Innerhalb dieser Gruppe befand sich auch Sō Neichū Senpai, ein Junior von Gōgen Senpai, der als Heimleiter des Gihōkai-Studentenwohnheims Kyōwajuku tätig war – einem Wohnheim für Studenten aus ganz Ostasien. Er war es auch, der Ōyama Masutatsu Gōjū-ryū lehrte. Da Sō ursprünglich aus dem Boxen und Gewichtheben kam, hatte das sicherlich Einfluss auf Ōyamas späteren, wettkampforientierten Stil in der Nachkriegszeit.
Kumite-Training und Kata-Wettbewerb in der ersten Hälfte bis Mitte des 20. Jahrhunderts
Yannick:
Fritz Nöpel, eine Pionierfigur in der deutschen Karatewelt, kam auf eher ungewöhnlichem Wege mit dem Karate der Ritsumeikan-Universität in Kontakt. 1956, mit dem Ziel, die Olympischen Spiele in Melbourne zu besuchen, begann Fritz Nöpel eine Reise mit dem Fahrrad von Deutschland nach Asien – eine Reise, die zwei Jahre dauern sollte. Während dieser Reise hielt er sich eine Zeit lang in Ōsaka auf, wo er Kisaki Tomoharu Sensei traf, einen Absolventen der Ritsumeikan-Universität. Unter der intensiven Anleitung von Kisaki wurde er zur ersten Person, die Gōjū-ryū nach Europa brachte. Auf diese Weise wurde durch deren Leistungen einer der bedeutenden Karate-Stile nach Europa gebracht.

Links: Kisaki Tomoharu, Rechts: Fritz Nöpel
Während Gōjū-ryū seinen Einfluss ausweitete, wurden Stile wie Shōtōkan-ryū, Wadō-ryū und Shitō-ryū durch japanische Lehrer, die nach Europa reisten, auf dem Kontinent verbreitet – dies entsprach dem allgemeinen Verlauf der Ausbreitung des Karate in Europa.
Könnten Sie uns auch mehr über das Training in den Karateklubs der Universitäten erzählen, über die Einführung von Kata-Wettbewerben und die Entwicklung organisatorischer Strukturen?
Koyama:
Die offizielle Einführung des Kata-Wettbewerbs erfolgte bei der 4. Karate-Weltmeisterschaft (1977 in Tōkyō). Als ich Student war, bestanden die Wettkämpfe ausschließlich aus Kumite (Freikampf). Das Training bestand aus zwei Stunden Kihon (Grundtechniken), gefolgt von etwa dreißig Minuten Kumite. Damals war es üblich, dass es beim Kumite zu Blutungen kam. Kata wurde hauptsächlich während Trainingslagern gelernt und war Voraussetzung für Prüfungen. Da ich das Bild von Kasao im Kopf hatte, mochte ich Kata ebenfalls, aber ich denke, dass damals relativ wenig Zeit für das Kata-Training aufgewendet wurde.

Koyama (links) während seiner Zeit an der Ritsumeikan-Universität in einer kämpferischen Pose beim 18. Alljapanischen Universitäts-Karate-Einzelkampf.

Koyamas Kata-Darbietung beim 34. Nationalen Sportfestival, die auf dem Titelbild des „Gekkan Karate-dō“ erschien.
Damals beinhaltete das freie Kumite auch Würfe, und obwohl Schläge auf Augen und Kehle verboten waren, wurden Angriffe auf vitale Punkte durch Greifen versucht. Es wurden keine Handschuhe getragen. In diesem Zusammenhang war es sehr wichtig, sich selbst zu schützen, Gegenangriffe zu führen und den Kampfgeist des Gegners psychologisch zu brechen. Anfangs kam es zu verschiedenen Unfällen. Wer keine Technik hatte, konnte sich nicht gut kontrollieren, was gefährlich war. Das führte zur Schaffung von Regeln. Um die 1950er-Jahre (Shōwa 30er-Jahre) kamen solche Diskussionen auf, und innerhalb der Studentenföderation wurden Regeln formuliert. Ōyama nannte es „Tanz-Karate“, doch organisatorisch begannen die Schülerföderation, die Japan Karate Federation (Zenkūren) und die WKF, eine ordentliche Struktur, Normen und Regeln aufzubauen, die später zur Anerkennung durch das IOC und zur Aufnahme in die Olympischen Spiele führen sollten.
Die Bekanntschaft zwischen Miyazato Ei’ichi vom Jundōkan und Kojō Yasuko
Yannick:
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts, insbesondere in dessen erster Hälfte, ist die Art und Weise, wie sich Karate verbreitete und veränderte – und wie Kumite (Freikampf) dabei zu einem zentralen Element wurde – eine faszinierende Geschichte. Innerhalb der Präfektur Okinawa zum Beispiel heißt es, dass Chibana Chōshin hauptsächlich Kata unterrichtete und dem Kumite-Training wenig Bedeutung beimaß.

Yabu Kentsū (1866–1937)

Hanashiro Chōmo (1869–1945)

Chibana Chōshin (1885–1969)
Im Gegensatz dazu gelten Hanashiro Chōmo und Yabu Kentsū als Befürworter des Kumite, wobei bekannt ist, dass Yabu bereits 1929 Kumite-Training mit Schutzausrüstung durchführte. Das war zweifellos ein wegweisender Schritt, der die spätere Entwicklung des Sportkarate vorwegnahm.
Als Nächstes würde ich gerne mehr über Ihre eigene Feldforschung und Ihre Studien auf Okinawa erfahren – insbesondere über Ihre Begegnungen mit der Familie von Miyagi Chōjun.

Trainingssituation um 1952 unter der Leitung von Miyagi Chōjun (hinten links)
Koyama:
Als ich in der Oberschule war, hatte ich von Kasao Geschichten gehört und wollte Okinawa unbedingt einmal besuchen. Nachdem ich in meinem vierten Studienjahr Universitätsmeister geworden war, ging ich mit zwei Kommilitonen zum Jundōkan in Naha. Dort wurden wir gebeten, unser Kumite zu demonstrieren, und ich glaube, die Geschwindigkeit unserer Techniken war ziemlich hoch. Damals gab es auf Okinawa nur wenig Erfahrung mit Wettkampf-Kumite, sodass sie mit unserem Tempo wohl kaum mithalten konnten.
Damals standen im Jundōkan fünf oder sechs Makiwara in einer Reihe, mit Chiishi (Steingewichten mit Griffen) und Sashi (Steinblöcken mit Griff) ringsum. Alle kamen nach der Arbeit ins Dōjō und trainierten individuell, bevor sie wieder nach Hause gingen. Die Trainingsmethode auf Okinawa war zu jener Zeit völlig anders als in den Karateklubs der Universitäten. Ich denke, das war auch schon vor dem Krieg so. Es war ein Trainingsumfeld, das unter anderen Bedingungen gewachsen war – und unterschied sich stark vom wettkampforientierten Karate.
Aufgrund dieser Okinawa-Erfahrung entschloss ich mich, als ich dem Forschungsinstitut für Sportgeschichte an der Kyōto-Universität für Erziehungswissenschaften beitrat, Miyagi Chōjun Sensei zum Thema meiner Forschung zu machen. Ich schickte einen Brief mit etwa zwanzig Fragen an Miyazato Ei’ichi vom Jundōkan. Als Antwort lud er mich ein, ihn zu besuchen. Miyazato stellte mich der Familie von Chōjun Sensei vor, und durch diese Verbindung konnte ich viele Schüler und verwandte Personen sprechen – und von dort aus weitete sich alles weiter aus.

Bei einer Forschungs- und Interviewreise auf Okinawa: Frau Kojō Yasuko links, Herr Koyama rechts
Das eindrucksvollste Erlebnis war, direkt von Chōjun Senseis Tochter, Kojō Yasuko, und seinem vierten Sohn Ken zu hören. Ich erfuhr, dass Kanō Jigorō 1927 Okinawa besucht hatte und von Miyagi Chōjun und Mabuni Kenwa empfangen worden war. Chōjun Sensei hatte Söhne namens Takashi (auch Kei genannt), Kin, Jun und Ken. Jun fiel im Einsatz im Tekketsu Kinrōtai („Blut und Eisen für den Kaiser-Truppen“), aber seinen Namen hatte er von Kanō Jigorō erhalten. Man erzählte mir, dass Jun einen Speer trug, den ihm sein Vater gegeben hatte – bis zu seinem Tod habe er ihn nicht losgelassen.
Ich habe auch mit Takashi telefoniert, aber er schien vorsichtig und war nicht bereit zu sprechen. Takashi soll 1933 in die Busen (Budō Senmon Gakkō – Fachschule für Kampfkunst) eingetreten sein. Etwa zu dieser Zeit begann Chōjun Sensei, regelmäßig nach Kyōto zu reisen, und 1934 schrieb sich Yogi an der Universität ein.
So kam die Verbindung zur Ritsumeikan-Universität zustande. Laut Kojō Yasuko ging Chōjun Sensei fast jedes Jahr dorthin, um zu unterrichten.
Die Dai Nippon Butokukai und Karate (Kūshu)
Yannick:
Laut „Mein Miyagi Chōjun“ besuchten Sie Okinawa im Jahr 1977. Ich selbst war erstmals 2008 dort, und im Vergleich zu damals hat sich die Insel dramatisch verändert. Ich erinnere mich noch ganz genau an meine Ankunft: Die für diese subtropische Region typische hohe Luftfeuchtigkeit war sofort spürbar, sobald ich aus dem Flugzeug stieg. Auch das damalige internationale Terminal war im Vergleich zum heutigen deutlich kleiner.
Koyama-sensei, mit der Unterstützung von Miyazato Ei‘ichi und anderen konnten Sie wertvolle Kontakte innerhalb der Präfektur Okinawa knüpfen, die großen Einfluss auf Ihre Forschung hatten. Übrigens haben Sie auch eingehende Untersuchungen zur Beziehung von Miyagi Chōjun mit dem Dai Nippon Butokukai angestellt.
Könnten Sie bitte noch einmal erläutern, welche Rolle er innerhalb des Dai Nippon Butokukai spielte?
Koyama:
Karate wurde offiziell im Jahr 1933 (Shōwa 8) in den Dai Nippon Butokukai aufgenommen. Im selben Jahr wurde eine Zweigstelle in der Präfektur Okinawa gegründet, und bereits im folgenden Jahr wurde Miyagi Chōjun Sensei ordentliches Ratsmitglied – das war der Beginn einer wichtigen Entwicklung.
Bis 1935 (Shōwa 10) demonstrierte Ueshima Sannosuke zusammen mit seiner Tochter im Butokuden, und Miyagi Sensei zeigte eine Vorführung gemeinsam mit seinem fortgeschrittenen Schüler Yogi Jitsuei, der an der Ritsumeikan-Universität studierte. Aktivitäten im Zusammenhang mit Karate wurden zunehmend häufiger.
Im Jahr 1937 (Shōwa 12) wurde Karate, das zuvor als eine Unterabteilung des Jūdō innerhalb des Butokukai geführt wurde, offiziell als „Kampfkünste zertifiziert durch den Butokukai“ anerkannt. Zu diesem Zeitpunkt wurden Konishi Yasuhirō, Ueshima Sannosuke und Miyagi Chōjun jeweils mit dem Titel „Kyōshi“ im Fach „Karate-jutsu“ ausgezeichnet. Danach nahm die Zahl der Anwärter auf den Rang „Renshi“ allmählich zu.
Konishi Yasuhirō stammte aus dem Takenouchi-ryū Jūjutsu, Ueshima Sannosuke aus dem Kushin-ryū Jūjutsu. Im Programm der 33. Butoku-Gedenkveranstaltung im Jahr 1929 (Shōwa 4) war Miyagi Sensei mit einer Vorführung von „Karate-dō“ (唐手道) verzeichnet, während Konishi Yasuhirō mit „Nihon Kenpō Karatesujutsu“ (日本拳法空手術) gelistet war. Allerdings ist anzumerken, dass die Lesung zu diesem Zeitpunkt noch kūshu (くうしゅ) war – und nicht karate.
Aus dem Forschungsartikel „Miyagi Chōjuns Reise nach Hawaii nachverfolgt“ von Yannick, veröffentlicht in der Februarausgabe 2025 dieses Magazins. Die Hawaii Hōchi (Ausgabe vom 11. Mai 1934), die über die Karate-Vorführung von Chōjun Miyagi auf Hawaii berichtete, bezeichnete sie als „… die Selbstverteidigungs- und Angriffstechniken von Karate (Kūshu) …“. Unter den aufgelisteten Vorführungspunkten wird zudem bereits „Tenshō“ erwähnt.

Ein Werbetext von Konishi Yasuhirō, in dem die Lesung Kūshu mit Furigana (Lesehilfe) angegeben ist. (Quelle: Karate-dō: Its History and Practice, S. 195)
Der Wandel vom Begriff „Karate – Chinesische Hand“ (唐手) hin zu „Karate – Leere Hand“ (空手) begann 1930 (Shōwa 5) mit Funakoshi Gichin Sensei. Ich denke, der Auslöser für diese Änderung war der Karateklub der Keiō-Universität.
Die Entwicklungszeit von Tenshō und Hypothesen zu Reisen nach China
Yannick In den letzten Jahren habe ich persönlich ein wachsendes Interesse an Karategeschichte selbst in Europa und Amerika gespürt. In den vergangenen 40 Jahren haben Historiker sowohl auf dem japanischen Festland als auch in Okinawa Kolumnen renommierter Karate-Meister sowie deren Notizen gesammelt und erforscht. Seit den 2000er Jahren werden viele davon aktiv von ausländischen Karate-Praktizierenden übersetzt.
Ein langjähriger Kollege von mir, Henning Wittwer, übersetzt Karate-Artikel seit 2007. Die Artikel, die er übersetzt hat – wie Okinawa no Bugi und Karate no Hanashi – sind für uns, deren Muttersprache nicht Japanisch ist, unverzichtbar, um die historische Entwicklung des Karate tiefgehend zu verstehen. Treue Übersetzungen wie seine sind jedoch selten; leider wurden viele Übersetzungen stark von den Originalen abgewandelt oder mit persönlichen Interpretationen ergänzt, was sehr enttäuschend ist.
Neben Ihrem Serienartikel „Mein Miyagi Chōjun“, Koyama-sensei, haben Sie 1983 auch einen Artikel über Higaonna Kanryō in Gekkan Karate-dō veröffentlicht. Welche Aspekte halten Sie in Ihrer Forschung über das Leben und Wirken von Miyagi Chōjun und Higaonna Kanryō für besonders wichtig?
Koyama Zunächst zum Okinawa Den Bubishi: Es ist unbekannt, woher Miyagi Chōjun dieses erhalten hat. Allerdings enthält es Formulierungen, die Ursprung des Namens Gōjū-ryū wurden, weshalb sein Einfluss sicherlich bedeutend war. Die dort erwähnte „Rokkishu“ und „Tenshō“ sind jedoch nicht genau dieselben.
Miyagi Sensei hatte, glaube ich, einen Neffen namens Tamaki Yūsei, von dem ich über die yobi undō (Aufwärmübungen) und die Zeit, als Tenshō entwickelt wurde, hörte. Tenshō wurde etwa um Taishō 10 (1921) mit den Worten eingeführt: „Ab heute werden wir das tun.“ Da keine überlieferten Aufzeichnungen existieren, kann dies nicht bestätigt werden, aber so wurde es eindeutig gesagt. Wenn Tenshō etwa um Taishō 10 entstand, und da Higaonna Kanryō bereits in Taishō 4 (1915) starb, liegt es nahe zu vermuten, dass Miyagi Sensei es selbst ab dieser Zeit konstruierte, indem er yobi undō schuf und Tenshō als Kihon-Kata aufbaute, das nicht nur zu Sanchin, sondern auch zu offenen Handtechniken verbindet.
Was die Reisen von Higaonna Kanryō betrifft, so können wir nur spekulieren. Es ist keineswegs sicher, dass er ausschließlich wegen Karate dorthin gereist ist. Die Beziehungen zwischen Japan und Ryūkyū sowie zwischen Ryūkyū und dem Kaiserreich Qing waren damals instabil. Da er das Meer mehrfach überquerte, sind viele Faktoren zu bedenken. Zeitweise waren Angriffe von Seeräubern (kaikō) möglich. Die tatsächlichen Details sind jedoch unbekannt, wir können nur Vermutungen anstellen.
Die Frau von Miyagi Sensei soll gesagt haben, dass seine Reaktion am Morgen, wenn sie ihn weckte oder die Tür öffnete, furchteinflößend gewesen sei. Der Einzige, der ihn so hätte trainieren können, wäre Higaonna Kanryō gewesen. Es ist auch möglich, dass Higaonna auf dem Weg mit dem Schiff nach Qing China sogar noch härtere Kämpfe erlebt hat. Solche Spekulationen stammen aus den Erzählungen von Miyagi Senseis Frau, mehr ist darüber nicht bekannt.
Ich halte die „Dreijahrestheorie“ bezüglich Higaonnas Aufenthalt für nicht glaubwürdig. Es gibt eine Technik, bei der die Hoden in den Körper hochgezogen werden, die ich jeden Morgen mache, die aber sehr schwer ist – selbst Miyagi Sensei sagte, er könne sie nur dreimal von zehn Versuchen schaffen. Ob diese Technik eine kämpferische Bedeutung hat, sei dahingestellt, aber selbst eine einzige Technik zu meistern erfordert erhebliches Training und Zeit.

Ein wertvolles Dokument mit dem Titel Shinsei Kafu (Genealogie der Shin-Familie), das die Familiengeschichte von Higaonna Kanryō (東恩納寛量) detailliert, wurde Herrn Koyama von Higaonna Kanryō (東恩納寛良) übergeben.
Es gibt Aufzeichnungen, dass Higaonna nach Fujian reiste und nach Okinawa zurückkehrte. Berechnet man die Zeit, war der Aufenthalt drei Jahre. Daraufhin stellte Tokashiki Iken vom Gōhakukai die Theorie auf, dass Higaonna nur drei Jahre in Fujian gewesen sei. Ich halte drei Jahre jedoch für unmöglich und vermute, dass er mehrmals hin und her gereist ist. Um 2000 habe ich Aufsätze mit den Titeln „Zweifel an der Theorie, dass Higaonnas Lehrer der Kranichmeister Xiè Zōngxiáng war“ und „Higaonna Kanryōs Familienlinie“ in der Zeitschrift Karate-dō Kenkyū der Karate-Abteilung der Japan Budō Gesellschaft veröffentlicht, und ich hoffe, dass die Leser von Hiden diese nochmals aufgreifen werden.

Higaonna Kanryō (1853–1915)

Sein Schüler Yoshimura Chōgi (1866–1945)
Zu dieser Zeit war Okinawa gespalten und im Konflikt zwischen der pro-japanischen Fraktion und der pro-Qing-Fraktion. Higaonna gehörte eindeutig zur Qing-Fraktion und war mit Yoshimura Chōgi (Ryūkyū-Königsfamilie, 4. Oberhaupt des Yoshimura Udun) verbündet. Obwohl keine Aufzeichnungen erhalten sind, glaube ich, dass er in diesem Zusammenhang mehrmals hin und her gereist ist. Natürlich, da keine historischen Dokumente dies belegen, bleibt es Spekulation. Forscher können Vermutungen anstellen, dürfen diese aber nicht als endgültige Schlussfolgerungen darstellen.
Yannick
Vielen Dank für die faszinierende Folge zum Thema Tenshō. Der Bericht von Tamaki Yūsei war äußerst wertvoll. In einem Abschnitt aus Kōbō Kenpō – Karatedō Nyūmon, das von Mabuni Kenwa und Nakasone Genwa gemeinsam verfasst wurde, erwähnen die beiden, dass Tenshō von Miyagi Chōjun entwickelt wurde, aber wie Sie auch betont haben, gibt es keine klare Beschreibung zum Zeitpunkt der Entwicklung.
Was die Reisen von Higaonna Kanryō und Miyagi Chōjun nach China betrifft, ist es sehr wichtig, diese vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen historischen Kontexte zu betrachten. Higaonna Kanryō reiste nach Fuzhou als Flüchtling oder Exilant, und wie Sie erwähnt haben, könnte er Verbindungen zu loyalistischen Fraktionen der Qing-Dynastie gehabt haben. Miyagi Chōjun hingegen besuchte Fuzhou zu einer Zeit, als der japanische Imperialismus seinen Höhepunkt erreicht hatte. Bis dahin hatte Japan bereits den Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg sowie den Russisch-Japanischen Krieg gewonnen – Kriege, an denen bekannte Karateka wie Yabu Kentsū und Hanashiro Chōmo aktiv teilgenommen hatten. Außerdem hatte Japan Qingdao (ehemals deutsches Gebiet) besetzt, das am Gelben Meer liegt. In einer solchen Zeit erhöhter politischer Spannungen betrat Miyagi chinesischen Boden. Unter diesen Umständen kann ich mir kaum vorstellen, dass er die anti-japanische Stimmung ignorieren und engen Kontakt oder Austausch mit chinesischen Kampfkünstlern pflegen konnte.
Was die Theorie betrifft, dass Higaonna Kanryōs Aufenthalt in Fuzhou nur kurz gewesen sei, finde ich sie teilweise überzeugend. Die von Tokashiki Iken vorgeschlagene Theorie, dass sein Aufenthalt nicht länger als drei Jahre dauerte, oder die von Ihnen angesprochene Idee, dass er mehrere kurze Besuche statt eines durchgehenden Langzeitaufenthalts gemacht habe, erscheinen mir plausibler. Unterstützend sprechen dafür auch die Geburtsdaten von Higaonnas Kindern und das damalige Steuersystem. Daher habe ich Zweifel an der Theorie, dass er über zehn Jahre von Okinawa abwesend gewesen sei.
Abschließend möchte ich die von Ihnen geschriebene „Mein Miyagi Chōjun“-Serie übersetzen und einem breiteren Publikum vorstellen, denn sie hat auch uns zunächst zusammengebracht. Für Menschen wie uns werden Ihre vor Ort erstellten Ermittlungsberichte eine großartige Inspirationsquelle für nicht-japanische Karate-Praktizierende sein. Ich danke Ihnen sehr für heute.

Herr Koyama, der einst in Okinawa ein Interview mit Iraha Chōkō, einem Schüler von Kyoda Jūhatsu, führte. Das Foto zeigt Iraha in der Sanseru-Haltung.

Yannick, der derzeit unter Ikeda Shigehide sensei (4. Sōke) in Ōita Tōon-ryū studiert, führt Sanseru aus.

Während des Interviews sah und erinnerte sich Koyama persönlich an Unterschiede in Iraha senseis Sanseru (wie zum Beispiel yama-tsuki und kansetsu-geri), und in der jüngsten Diskussion tauschten er und Yannick Ansichten aus und demonstrierten gemeinsam diese Unterschiede!